Mehr Kompromisse, mehr Wohnungen: Der Bau-Turbo kommt ins Kabinett

5 hours ago 2
ARTICLE AD BOX

Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.

POLITICO Pro Industrie und Handel

Von ROMANUS OTTE

Mit LAURA HÜLSEMANN und TOM SCHMIDTGEN

TOP-THEMEN

— Bauministerin Verena Hubertz bringt heute den Bau-Turbo auf den Weg.

— Sachsens Vorschlag für einen Strompreisdeckel für die Wirtschaft findet Anklang.

– Weniger Haftung für Zulieferer: Die Lieferketten-Richtlinie ist auf der Ziellinie .

Willkommen bei Industrie und Handel — in einer angespannten Nachrichtenlage.

Senden Sie Tipps an rotte@politico.eu, tschmidtgen@politico.eu, lhulsemann@politico.eu, tmumme@politico.eu und jkloeckner@politico.eu. Oder folgen Sie uns auf X:@TommesFrittes, @HulsemannLaura, @ThorstenMumme & @herrkloeckner

THEMA DES TAGES

SPÄTZÜNDER: Heute bringt Bauministerin Verena Hubertz (SPD) ihren Wohnungsbau-Turbo ins Kabinett. Der Gesetzentwurf liegt Jasper Bennink und Laura Hülsemann vor. 

Showtime: Um 11:45 Uhr feiert Hubertz das Gesetz gemeinsam mit SPD-Chef Lars Klingbeil, Berlins Bausenator Christian Gaebler und dem Chef der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte, Lars Dormeyer, auf einer Baustelle in der Köpenicker Straße — wo 102 Wohnungen entstehen sollen.

Zwei Knoten gelöst: Beim zuletzt strittigen Lärmschutz gibt es einen Kompromiss mit dem Umweltministerium, hört Laura. Sonderregeln werden weiter ausgeweitet, damit auch im ländlichen Raum mehr gebaut werden kann.

Sechs Wohnungen: Die strittige Mindestzahl von sechs Wohneinheiten entfällt. Erst ab dieser Zahl sollten ursprünglich die Sonderregeln für schnelleres Bauen gelten. Die Union kritisierte dies bei POLITICO, als „nicht verabredet“. Auch Industrievertreter waren dagegen.   

Gesetzes-Poesie: Die Mindestgröße ist „aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht erforderlich, zumal in einer Wohnraummangellage jedwede Wohnung benötigt wird“, heißt es in der Kabinettsvorlage. 

Erhoffte Effekte: Damit können nun auch Einfamilien- oder Doppelhäuser leichter geplant werden.

Die CDU/CSU freut’s: „Als Union haben wir darauf gedrungen, dass es keine gesetzliche Vorgabe einer Mindestanzahl von Wohneinheiten gibt“, sagte der baupolitische Sprecher Jan-Marco Luczak. Den Bau-Turbo feiert er als „Zeitenwende beim Wohnungsbau“.

Beim Lärmschutz gab es eine „pragmatische Einigung“, hört Laura aus dem Umweltministerium, das Bedenken hatte, dass zu nah an Gewerbegebieten gebaut wird. 

Die Lärmschutzregulierung (TA Lärm) bleibt grundsätzlich verbindlich. Falls Planungen dagegen verstoßen und diese vor Gericht angefochten werden, wird der Bebauungsplan unwirksam. Statt eines Baustopps und Abrisses sollen die Behörden künftig aber über zusätzlichen Schutz durch bessere Fenster oder Lärmschutzwände entscheiden. 

Die SPD feiert, dass es beim Wohnungsbau nun losgeht. Hubertz hat sich außerdem vorgenommen, durch serielles Bauen die Baukosten zu halbieren. 

Rückblick: Die Ampel-Regierung hatte 400.000 neue Wohnungen pro Jahr versprochen — darunter 100.000 Sozialwohnungen. Es sei eine „Vollkatastrophe“, dass 2024 nur 250.000 Wohnungen fertiggestellt wurden, kritisierte Hubertz zuletzt in der Bild am Sonntag.

Zeitplan: Das Gesetz soll in der letzten Woche vor der Sommerpause in den Bundestag zur ersten Lesung kommen und bis Ende Oktober verabschiedet werden, hört Laura aus dem Parlament. Der Bundesrat muss nicht zustimmen. 

Sparturbo: Das Gesetz bringe Bürgern eine jährliche Ersparnis von 505 Millionen Euro, der Wirtschaft 334 Millionen Euro und entlaste Länder und Kommunen um rund 1,7 Milliarden Euro, heißt es im Entwurf. 

Evolution der Entwürfe: Hier ist die erste Version (datiert auf den 20.05.2025) und das Update (vom 04.06.2025).

INDUSTRIESTROMPREIS

BITTE BILLIGER: Die Forderung von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, den Strompreis für Unternehmen „zwischen fünf und maximal neun Cent die Kilowattstunde“ (kWh) zu deckeln, findet Zustimmung. 

„Ein Zielwert von fünf bis neun Cent pro kWh ist sicher erstrebenswert”, sagt Andreas Lenz, Energie-Sprecher der Union, zu Tom Schmidtgen. „Das Ziel ist kein Streitpunkt“, sagt auch sein SPD-Pendant Nina Scheer zu Tom. 

Ja, aber: „Klärung brauchen wir bei den Maßnahmen und der Finanzierung”, sagt Scheer. Sie setzt vor allem auf den Ausbau erneuerbarer Energien, um „unsere Abhängigkeit von fossilen Energieressourcen [zu] überwinden“. 

Der Strompreis könne bis zu 23 Prozent sinken, wenn der geplante Ausbau der Erneuerbaren komme, hat der Thinktank Agora Energiewende berechnet. Investitionen in Erneuerbare seien effizienter als die Senkung der Stromsteuer und der Netzentgelte, so das Institut. 

Teures Netz: „Wir brauchen eine Finanzierung von Netzausbau und Netztransformation aus Steuern“, fordert Scheer. Bisher werden die Kosten auf den Strompreis aufgeschlagen. Im Schnitt liegen diese Netzentgelte bei 11,37 Cent je kWh und machen etwa ein Viertel des Strompreises aus. Größere Unternehmen sind oft davon befreit. Die Regierung will die Netzentgelte senken und Kosten in den Haushalt übernehmen. 

Hohe Systemkosten: Die Stromwende erfordert Investitionen von 651 Milliarden Euro, berechnet die Hans-Böckler-Stiftung. Ohne Zuschüsse aus Steuereinnahmen würden die Netzentgelte um bis zu 7,5 Cent pro kWh steigen.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) fordert „einen wirksamen Bundeszuschuss bei den Netzentgelten“, so Wolfgang Große Entrup zu Tom. Der VCI-Chef hofft auf das für August geplante Energiemonitoring. „Kosteneffizienz muss zur Leitschnur werden, Versorgungssicherheit endlich wieder stärker gewichtet werden“, so Große Entrup.

GENEHMIGUNGSVERFAHREN

MEHR WIND: Die Bundesregierung will die Genehmigung für Windkraftanlagen erleichtern. Der Gesetzentwurf, den das Umweltministerium heute ins Kabinett bringt, liegt Tom Schmidtgen vor. 

Hintergrund: 2022 beschloss die Ampel, bis 2032 zwei Prozent der Landfläche zu Windenergiegebieten zu erklären. In diesen Gebieten sollen Windräder und Speicher nun schneller genehmigt werden. Die Wirtschaft soll dadurch jährlich 16 Millionen Euro sparen.

Um Zeit zu gewinnen, bringt die Regierung den Entwurf nicht selbst ein, sondern gibt ihn als Formulierungshilfe an die Koalitionsfraktionen. Das vermeidet in der Gesetzgebung eine Schleife über den Bundesrat. Das Gesetz setzt die Erneuerbare-Energie-Richtlinie der EU  von 2023 ohne Veränderung um, sagt ein Ministeriumssprecher zu Tom.

Die Genehmigungsbehörde muss kürzer als bisher auf Antworten von Ämtern warten. Kommt in einer Frist keine Antwort, „so ist davon auszugehen, dass sich die zu beteiligende Behörde diesbezüglich nicht äußern will“, heißt es im Gesetz. 

Wird die Windkraftanlage in der Planung leicht verändert, beispielsweise maximal zwanzig Meter erhöht oder acht Meter versetzt, muss nicht der gesamte Plan neu geprüft werden. Nur Bundeswehr und Luftfahrtbehörde können dann noch Bedenken anmelden. 

G7-GIPFEL

DEAL OR NO DEAL: Großbritannien hat es vorgemacht und am Rande des G7-Gipfels sein Handelsabkommen mit den USA vorangebracht. Unter anderem werden Einfuhrzölle für 100.000 britische Autos auf 10 Prozent gesenkt. 

Kann die EU folgen? Merz schürte in Kanada Hoffnung: „Wir kommen einer Lösung näher. Mit Großbritannien ist jetzt ein Abkommen abgeschlossen worden. Wenn wir in der Europäischen Union in die ähnliche Richtung gehen würden, hielte ich das für richtig“, sagte der Kanzler bei Welt-TV. 

Dealchen für Dealchen: Dies werde noch „kein sehr umfassendes Abkommen“ sein, aber einige große, für Deutschland wichtige Branchen betreffen, sagte Merz später beim ZDF. 

German Autos first: Als Beispiel nannte Merz die Autoindustrie. „Wir brauchen hier schnell eine Lösung, sonst wird es einfach zu teuer“, sagte er.

Andere Verhandlungstaktik: Trump klang weniger versöhnlich und bezweifelte nach der Abreise vom G7-Gipfel an Bord der Air Force One, er rechne nicht mit einem fairen Angebot der EU, wie mein US-Kollege Adam Cancryn berichtet. „Entweder machen sie ein gutes Geschäft oder sie zahlen einfach den Preis, den wir ihnen zu zahlen vorschreiben“, sagte der US-Präsident.

Offiziell wartet die EU aktuell auf Antwort der USA zu den jüngsten Angeboten, wie zwei Diplomaten meinem Kollegen Koen Verhelst sagten. 

Von den Rockies in die Alpen: Der nächste G7-Gipfel findet 2026 in Évian-les-Bains in den französischen Alpen statt. Das verkündete Frankreichs Präsident Macron am Gipfelort in den kanadischen Rocky Mountains. 

ALLE SIEBEN konnten sich zum Abschluss des Gipfels auf einen Aktionsplan für kritische Mineralien verständigen. Damit wollen die Gipfelteilnehmer dem Hauptkonkurrenten China entgegentreten. Der Plan sieht neue Investitionen und Partnerschaften vor. Schwerpunkte liegen unter anderem auf dem Einsatz von Technologie und der Kreislaufwirtschaft.

LIEFERKETTENGESETZ

LANGE KETTE: Bei der Lieferketten-Richtlinie kommt Brüssel deutschen Forderungen jetzt in drei Punkten entgegen. Der Entwurf für einen Kompromiss, der meiner Kollegin Marianne Gros vorliegt (hier), geht über die Erhöhung der Schwellenwerte hinaus, über die POLITICO gestern berichtet hatte.  

Erstens soll die Pflicht, Lieferanten bei Umweltschutz und Menschenrechten zu überprüfen, erst für Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern und 1,5 Milliarden Euro Umsatz gelten. Aktuell liegt die Schwelle bei 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz. 

Zweitens wird die Pflicht gelockert, neben direkten Lieferanten die gesamte Lieferkette zu prüfen. Sie gilt im Grundsatz nur für direkte Geschäftspartner. Nur wenn es „plausible Informationen“ über Verstöße gibt, müssen Firmen auch deren Zulieferer überprüfen. 

Drittens: Die zivilrechtliche Haftung auf EU-Ebene wird gestrichen. Stattdessen sollen nationale Gesetze den Zugang zu Gerichten und Schadensersatzklagen ermöglichen.  

Die Regierung muss sich nun auf eine Haltung zu dem Vorschlag verständigen. Inhaltlich liegt das Thema beim Arbeitsministerium. Das Ministerium reagierte gestern nicht auf eine Anfrage von POLITICO. Festgelegt wird die deutsche Position im Kanzleramt. 

CDU macht weiter Druck: „Der Vorschlag zur Anhebung der Schwellenwerte bei der CSDDD geht in die richtige Richtung — aber er reicht nicht aus“, sagte Tilman Kuban, Europa-Sprecher der Unionsfraktion, zu Laura.  

„Was wir brauchen, ist kein Reförmchen, sondern eine komplette Neuausrichtung“, sagte Kuban. In der wirtschaftlich angespannten Lage brauche es einen „Befreiungsschlag“ bei der Bürokratie. „Deshalb wollen wir ein vollständiges Aus für die CSDDD in ihrer jetzigen Form“, sagte Kuban. Dies hätten auch Merz und Macron zuletzt gefordert.

RÜSTUNGSINDUSTRIE

OMNIBUS ROLLT LOS: Die EU-Kommission plant für die Rüstungsindustrie mehr als 200 Erleichterungen. Das kündigte Verteidigungskommissar Andrius Kubilius gestern an. 

Schnellere Beschaffung. „Langwierige nationale Genehmigungsverfahren sind die Hauptbeschwerde sowohl der Streitkräfte als auch der Lieferanten“, sagte er in Brüssel. Wenn Behörden nach 60 Tagen nicht reagieren, soll das künftig als Zustimmung gelten. 

Verteidigung soll unter die ESG-Kriterien fallen. Damit soll Banken die private Finanzierung von Rüstungsaufträgen erleichtert werden. „Wir brauchen jetzt Regelungen, die Industrie, Streitkräften und Investoren Geschwindigkeit, Vorhersehbarkeit und Handlungsspielraum bieten“, so Kubilius.

HEUTE WICHTIG

— BERLIN 10:00 Uhr: Bundeskabinett unter anderem mit dem Bau-Turbo.

BERLIN 11:30 Uhr Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin: Beratung mit der Bundesregierung über einen Ausgleich für Steuerausfälle durch das Entlastungsprogramm (Investitions-Booster).

USA 20:00 Uhr : Die US-Notenbank entscheidet über die Leitzinsen. Die Märkte rechnen nicht damit, dass die Fed der Forderung Trumps nach einer Zinssenkung nachkommt. 

JAPAN Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Rouenhoff ist mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Forschungsministerin Dorothee Bär bis Freitag in Japan. Sie werden von einer 14-köpfigen Wirtschaftsdelegation begleitet, teilte er auf Instagram mit.

USA Wirtschaftsministerin Katherina Reiche bricht zu ihrem Antrittsbesuch nach Washington auf. Dort führt sie von Donnerstag an Gespräche. 

Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!

Read Entire Article