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Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.
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Von TOM SCHMIDTGEN
Mit LAURA HÜLSEMANN, JÜRGEN KLÖCKNER und ROMANUS OTTE
TOP-THEMEN |
— Der Handelsstreit droht beim G7-Gipfel in den Hintergrund zu rücken – doch Merz und von der Leyen wollen das verhindern.
— Das Wirtschaftsministerium will die Green-Claims-Richtlinie stoppen – das Umweltministerium sieht noch Gesprächsbedarf.
— Bund und Länder suchen beim Investitions-Booster einen Kompromis – und könnten ihn gefunden haben.
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THEMA DES TAGES |
NO TIME TO DEAL: Wenn sich ab heute die G7 in den kanadischen Rocky Mountains treffen, dürfte es weniger um Handelspolitik gehen als erhofft. Dafür sorgt die Eskalation zwischen Israel und dem Iran.
Tagesordnungspunkt 1, aber nicht Prio 1: Dennoch soll direkt am Montagmorgen in der ersten von vier Gesprächsrunden über Handel gesprochen werden, berichtet mein Kollege Koen Verhelst, der in Kananaskis dabei ist.
Wir müssen reden: Das Treffen ist das letzte hochrangige, bevor am 9. Juli die Zollpause endet. Sowohl Bundeskanzler Friedrich Merz als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonten, wie wichtig ein Ende der Konflikts sei.
Suche Lösung: „Dieses Mal wird es um eine klare Perspektive für eine Einigung im Zollstreit gehen“, so Merz. Man wolle auch über Wirtschaftssicherheit, Versorgung mit kritischen Rohstoffen und der Zusammenarbeit bei neuen Technologien sprechen.
Biete Bestandsaufnahme: Von der Leyen berichtete am Samstag von einem „guten Telefonat“, das sie mit Trump geführt habe. Beide hätten eine Bestandsaufnahme der Handelsgespräche unternommen.
Merz wird Donald Trump wohl nicht bilateral sprechen. Das geht aus dem Programm der deutschen Delegation hervor. Allerdings sind noch drei Terminslots offen, die kurzfristig besetzt werden. Ob von der Leyen sich mit Trump unter vier Augen austauschen wird, war am Sonntagabend noch nicht klar.
Deren Beziehung gilt als angespannt. „Dass die beiden sich nicht gut verstehen, ist für den Handelskonflikt sehr schlecht“, sagt Samina Sultan, Ökonomin für Außenhandel am IW Köln zu Tom Schmidtgen.
Basiszoll könnte bleiben: Es könnte bis Anfang Juli zu einer ersten Einigung kommen, sagt Sultan weiter. „Aber ein umfassendes Handelsabkommen mit den USA in einem Monat abzuschließen, ist unwahrscheinlich“, so Sultan. „Wir werden uns auch darauf einstellen müssen, dass der Basiszoll von zehn Prozent bestehen bleibt.“
Trump wird wohl hart bleiben. „Er ist mit einem Ergebnis, das mit Zöllen endet, völlig einverstanden“, sagte auch eine dem Weißen Haus nahestehende Person meinem US-Kollegen Adam Cancryn. Viel hänge davon ab, ob Trump das Gefühl habe, die Länder meinten es ernst. Mehr zur amerikanischen Sicht lesen Sie hier.
Beim Thema Seltene Erden „haben wir im Prinzip geteilte Interessen mit den USA“, so Sultan. Allerdings wolle Trump mit seiner „America First“-Politik vor allem den eigenen Zugang sichern.
Auch bei den Russland-Sanktionen sind die EU und Großbritannien auf die USA angewiesen. Die EU will mit ihrem 18. Sanktionspaket den Preis auf russisches Öl von 60 Dollar pro Barrel auf 45 Dollar senken.
Bisher unterstützt Trump den Vorstoß nicht. „Da die Obergrenze als Käuferkartell konzipiert ist, müssen sich die USA daran beteiligen“, sagte Maria Shagina, Sanktions-Expertin am International Institute for Strategic Studies meinem Kollegen Gabriel Gavin.
BÜROKRATIE |
GREEN CLAIMS? RED FLAG! Das Wirtschaftsministerium macht Druck, die geplante EU-Richtlinie zu Umweltaussagen (Green Claims) in der Werbung doch noch zu stoppen.
Mahnung an Brüssel: Die Kommission müsse „überdenken, ob der Entwurf zur Green-Claims-Richtlinie weiterverfolgt werden sollte“, sagte Staatssekretär Stefan Rouenhoff zu Laura Hülsemann und Romanus Otte. „Es ist schwer zu vermitteln, dass man auf der einen Seite Bürokratie abbauen will, gleichzeitig aber neue regulatorische Anforderungen plant, die diesen Zielen entgegenstehen.“
Ziel der Richtlinie ist es, Greenwashing in der Werbung zu verhindern. Umstritten ist, dass Unternehmen solche Werbung künftig vorab genehmigen lassen sollen.
Die Zeit drängt: EU-Parlament, Kommission und Rat wollen ihre Verhandlungen über die Green-Claims-Richtlinie am 23. Juni abschließen. Sie soll noch bis Ende Juni beschlossen werden.
Zeitgeist: „Unsere Wirtschaft muss wieder in Schwung kommen – entfesselt werden“, sagte der CDU-Politiker Rouenhoff. „Überbordende Bürokratie, Berichts- und Zertifizierungspflichten lähmen.“ Es sei an der Zeit zu überlegen, ob „bestimmte EU-Vorhaben heute noch zeitgemäß sind“.
Konflikt in der Koalition: Das SPD-geführte Umweltministerium machte auf Anfrage von Romanus deutlich, dass es zu dem Thema „noch Gespräche innerhalb der Bundesregierung“, gebe. Davor äußere sich das Ministerium nicht.
Verbraucherschützer argumentieren, dass bestehende Gesetze gegen irreführende Werbung bei Umweltaussagen nicht greifen. Bei Verstößen dauerten Klagen oft lange, die falschen Werbeaussagen wären dann lange Zeit im Umlauf.
Die deutsche Industrie fordert, das Verfahren zu pausieren, um nochmals finanzielle und juristische Folgen abzuschätzen. Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf sagte Romanus: „Es ist notwendig, dass die EU das sein lässt. Es baut noch einmal mehr Bürokratie auf, wenn Werbeaussagen vorab genehmigt werden müssen. Das ist völlig irre“.
INVESTITIONS-BOOSTER |
KOMPROMISS IN SICHT: Bund und Länder nähern sich im Streit um die Steuerausfälle für die geplanten Erleichterungen für Unternehmen an, berichtet mein Kollege Rasmus Buchsteiner.
Idee I: Die Länder könnten einen größeren Anteil an den Einnahmen aus der Umsatzsteuer erhalten. Alternativ könnte der Bund mehr für die Wohnungen von Bürgergeldempfängern zahlen.
Idee II: Über die Sommerpause soll ein Deal zu den Bund-Länder-Finanzen ausgehandelt werden: Eine Vereinbarung, die immer dann zum Tragen käme, wenn der Bund Gesetze anschiebt, die Einnahmeausfälle für Länder und Kommunen bedeuten. „Hierzu laufen noch die Gespräche“, sagte Michael Kretschmer, Sachsens Regierungschef und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, zu Jürgen Klöckner und Tom.
Viel Zeit bleibt nicht: Am Mittwoch treffen die Länderchefs auf Kanzler Merz. In den kommenden Wochen muss es zu einer Einigung kommen. Am 11. Juli sollen die Länder den Investitions-Booster im Bundesrat abnicken, an einem Vermittlungsausschuss hat niemand Interesse.
ÖLPREIS |
ÖLPREIS STEIGT: Nach der Eskalation im Nahen Osten sind die Preise für Rohöl gestiegen. Innerhalb der vergangenen Woche verteuerte sich ein Barrel WTI um 11,8 Prozent und ein Barrel Brent um 10,7 Prozent auf über 70 US-Dollar.
Kurzer Peak: „Meist springen die Öl- und Gaspreise nach Angriffen kurz in die Höhe, fallen dann aber auch wieder, wenn die Spannungen sich legen“, sagte Samina Sultan, Ökonomin am IW Köln zu Tom. Gut sei, dass die Ölpreise auf einem generell niedrigen Niveau seien. „Da wir uns aber momentan global gesehen ohnehin in einer Phase großer Unsicherheit befinden, ist jeder weitere Konflikt schlecht“, so Sultan.
Öl als Teil des Konflikts: In der Nacht zu Sonntag bombardierte Israel laut iranischen Medien das Öl- und Gasfeld Süd-Pars, woraufhin die Gasproduktion eingestellt wurde. Der Iran griff in der Nacht zu Sonntag eine Anlage des israelischen Ölkonzern Bazan im Norden Haifas an, traf unter anderem Pipelines. Die Raffinerie sei noch in Betrieb, aber Teile der Industrieanlage wurden stillgelegt.
Auswirkungen auf deutsche Industrie: „Deutsche Importeure, die Ware aus Israel beziehen, müssten vermutlich mit Störungen der Lieferkette durch Schäden an der Infrastruktur, Ausgangssperren und Einschränkungen des Luftraumes rechnen“, sagte Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen den Funke-Zeitungen. Da sich die Importe aus dem Iran auf einem niedrigen Niveau bewegten, würden die Auswirkungen „hier kaum spürbar sein“.
Die größere Gefahr: Gefährlicher für die Wirtschaft könnte eine Sperrung der Straße von Hormus werden. Etwa ein Fünftel des weltweiten Ölhandels läuft durch die Meeresenge.
MINDESTLOHN |
KRISENGIPFEL MIT ARBEITNEHMERN: Heute treffen sich die Chefs der DGB-Gewerkschaften im Finanzministerium mit Minister Lars Klingbeil, berichtet mein Kollege Rasmus Buchsteiner. Im Fokus dürfte die Frage des Mindestlohns stehen.
Keine Einigung in Sicht: Die Gewerkschaften gehen wohl nicht davon aus, sich mit den Arbeitgebern auf einen Mindestlohn in der Nähe von 15 Euro zu einigen, hört Rasmus.
Stilles Kämmerlein: Die Mindestlohn-Kommission berät hinter verschlossenen Türen, bis Ende des Monats muss sie ihre Empfehlung an die Bundesregierung abgeben. Eine Sitzung findet in dieser Woche statt, eine in der kommenden. Am 26. Juni soll das Ergebnis präsentiert werden.
NEIN ZUM MINDESTLOHN PER GESETZ: Die CDU hat den Vorstoß des Wirtschaftsweisen Achim Truger, den Mindestlohn auf 15 Euro anzuheben, zurückgewiesen. „In unserer sozialen Marktwirtschaft ist es nicht Aufgabe der Politik, Löhne per Gesetz festzusetzen“, sagte Marc Biadacz, Chef der AG Arbeit und Soziales in der Union, zu Laura.
Rückblick: Im Interview mit uns hatte Truger vergangene Woche gefordert, den Mindestlohn notfalls auch per Gesetz auf 15 Euro zu erhöhen, wenn die Mindestlohnkommission darunter bleibt.
Es sei Aufgabe der Mindestlohnkommission anhand „wirtschaftlicher Daten und fern parteipolitischer Interessen“ eine Entscheidung zu treffen, sagte Biadacz. „Ein gesetzlicher Eingriff ist ordnungspolitisch nicht geboten.“
SPD hält sich Tür offen: „Grundsätzlich kann der Mindestlohn auch per Gesetz festgelegt werden“, sagte Annika Klose, SPD-Sprecherin für Arbeit und Soziales zu Laura.
WASSERSTOFF |
SCHNELLERER AUSBAU: Die norddeutschen Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen fordern die Bundesregierung auf, den Wasserstoffhochlauf stärker zu fokussieren. Das geht aus der Beschlussempfehlung der heute stattfindenden Nord-Ministerpräsidentenkonferenz hervor, die Rasmus Buchsteiner einsehen konnte.
Gesetz soll kommen: „Sie [die norddeutschen Länder] bitten die Bundesregierung, den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur deutlich voranzutreiben, insbesondere durch eine Förderung der Importinfrastruktur an den norddeutschen Häfen“, heißt es dort. Außerdem soll der Bund die Arbeiten am Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz wieder aufnehmen. Das Gesetz wurde von der Ampel in den Bundestag eingebracht, aber nie verabschiedet.
Neue Definition von grün und blau: Die Bundesregierung solle „sich für pragmatische Regelungen zu erneuerbaren und kohlenstoffarmen Wasserstoff/CO₂-armer Gase“ einsetzen. Wirtschaftsministerin Reiche hat betont, genau das in Brüssel zu tun. Sie will „die Kommission zu einer pragmatischen Definition von blauem und nachhaltigem Wasserstoff bekommen“, sagte Reiche auf dem BDEW-Kongress Anfang Juni.
ENERGIE |
MEHR METHAN WAGEN: Wichtige Themen beim heutigen Energierat in Luxemburg werden der Vorstoß der Kommission, künftig gänzlich auf russische Energie zu verzichten – und ein Antrag, um die Berichterstattung zu Methanemissionen abzuschwächen. Katherina Reiche ist vor Ort. Hier gibt es die ganze Agenda.
Gasvorschriften: Sieben Länder – Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Slowenien – schlagen vor, einige Berichtspflichten für Methanemissionen abzuschwächen, berichtet mein Kollege Gabriel Gavin.
Kontext: Die EU-Methanverordnung befasst sich mit Methanemissionen im Öl-, Gas- und Kohlesektor – sowohl für Importe als auch für die europäische Produktion. Der Vorschlag soll als Inspiration für das kommende Energie-Omnibus-Verfahren gelten, heißt es in dem Dokument, das Gabriel vorliegt.
Recap: EU-Länder ziehen bereits in Erwägung, die Vorschriften zu Methanemissionen abzuschwächen – um Trump und dem wachsenden Druck, mehr amerikanische Energieträger zu importieren, im Handelsstreit entgegenzukommen.
Grüner Aufschrei: In der vergangenen Woche haben mehr als 70 NGOs und Denkfabriken in einem Brief an die polnische EU-Ratspräsidentschaft vor der Abschwächungen der Methanregeln gewarnt. Wie Reiche zu dem Methan-Antrag steht, beantwortete das Ministerium auf Anfrage nicht.
HEUTE WICHTIG |
— ARBEITSKOSTEN: Um 11 Uhr legt Eurostat die Entwicklung der Arbeitskosten in der EU im ersten Quartal vor.
— BAUEN: Um 12 Uhr hält die Bau-Staatssekretärin Sabine Poschmann in Dortmund ein Grußwort beim Bund-Länder-Gespräch zum Städtebauförderungsprogramm „Wachstum und nachhaltige Erneuerung“.
Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!