Autoindustrie fordert das Aus des Verbrenner-Aus

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Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.

Pro Industrie & Handel am Morgen

Von ROMANUS OTTE

Mit LAURA HÜLSEMANN, JÜRGEN KLÖCKNER und TOM SCHMIDTGEN

TOP-THEMEN

VDA will Verbrenner auch nach 2035 zulassen. Ein 10-Punkte-Plan zeigt, wie die Autoindustrie dennoch klimaneutral werden will – POLITICO hat ihn.

Trump lobt Merz lobt Trump: Die Handelsbilanz der Kanzlerreise nach Washington.

Deutschland soll Green Claims EU-Richtlinie stoppen, fordert Staatssekretärin Connenmann exklusiv bei POLITICO.

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THEMA DES TAGES

VERBRENNER-AUS-AUS: Die deutschen Autohersteller und -zulieferer fordern die Bundesregierung und die EU auf, das für 2035 geplante Verbrenner-Verbot zurückzunehmen.

In einem noch unveröffentlichten „10-Punkte-Plan für eine klimaneutrale Mobilität“ fordert der Verband der Automobilindustrie (VDA) eine „Anpassung des Reduktionsziels auf minus 90 Prozent ab 2035“. Der Plan liegt Laura Hülsemann und Jürgen Klöckner exklusiv vor und soll heute vorgestellt werden. 

VDA-Chefin Hildegard Müller sagte POLITICO, „so können auch nach 2035 noch eine begrenzte Zahl neuer Verbrenner zugelassen werden“. Zusätzliche Emissionen könnten über „ambitioniertere Ziele für die erneuerbaren Kraftstoffe kompensiert werden”.

Die Lobby-Organisation repräsentiert 620 Hersteller und Zulieferer. Der VDA fordert mit dem Papier erstmals öffentlich, das 2035-Ziel anzupassen. Es besagt, dass ab 2035 nur noch Fahrzeuge ohne CO₂-Ausstoß — also Elektroautos — zugelassen werden dürfen. 

Fehlende Nachfrage: „Es fehlen in vielen Ländern Europas vor allem Ladesäulen, moderne Stromnetze und Kaufanreize, zum Beispiel steuerliche Anreize“, heißt es vom VDA. Die Nachfrage nach E-Autos bleibe „deutlich hinter dem zurück, was für die Erreichung der Klimaziele notwendig wäre“.

To be honest: „Das Verbrenner-Aus ist so nicht realisierbar, es braucht eine ehrliche Betrachtung der Realitäten und Rahmenbedingungen.“ Dies sei für den Standort und die Arbeitsplätze entscheidend. 

Mit angepassten Flottengrenzwerten ließe sich die „Entwicklung und Produktion von Verbrennungsmotoren – in der wir technologisch führend sind – in Europa halten“. Andere Regionen wie China und die USA hätten kein 0-Gramm-Ziel festgelegt. 

Dann halt woanders: Auch künftig würde die Industrie „Verbrenner in andere Weltregionen verkaufen”. 

Hintergrund: Regierungen, Lobbyisten und Autobauer in Europa — auch in Deutschland — fordern zunehmend, das EU-Gesetz abzuschwächen oder zurückzunehmen. 

Kampfansage: Die Europäische Volkspartei, größte Fraktion im EU-Parlament, der auch die CDU/CSU angehört, hat bereits angekündigt, das Gesetz kippen zu wollen.

Kritik: Die EU verlasse sich „einzig und allein auf den Erfolg von batterieelektrischen E-Autos“, sagte Müller. „Das ist zu optimistisch.“ Erst wenn Ladeinfrastruktur „breit verfügbar und das Laden günstiger als Tanken ist, wird auch die Nachfrage deutlich steigen – dann wird das E-Auto attraktiver”.

Einer geht noch: Weiter fordert der VDA, die für 2026 geplante Überprüfung der Regulierung auf 2025 vorzuziehen und erneuerbare Kraftstoffe einzubeziehen. 

ZÖLLE

BILANZ EINES HANDLUNGSREISENDEN: „Er ist wirklich bereit, eine Einigung im Handelsbereich zu erzielen.” Friedrich Merz klang nach seinem Treffen mit Donald Trump fast ein wenig erstaunt, so harmonisch lief alles ab. 

Heißer Draht: Er habe mit Trump eine enge Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Handelspolitik verabredet, sagte Merz in Washington. 

„Wir haben natürlich über Zölle und Handelspolitik gesprochen”, sagte Merz nach dem Lunch. Deutschland sei bereit, mehr Verantwortung in Europa zu übernehmen, wenn es um Handelsabkommen geht. 

Buy, baby, buy: Trump sagte, er wolle Energiegeschäfte mit der EU zum Teil eines Handelsabkommens machen: „Wir haben so viel Öl und Gas. Das könnt ihr gar nicht alles kaufen.”

„Konkret wurde handelspolitisch wenig erreicht, aber das war auch nicht Zweck des Treffens”, ordnete Handelsexperte Arthur Leichthammer vom Jacques Delors Centre gegenüber Tom Schmidtgen ein.

Ein gutes Signal sei, dass das Gespräch konstruktiv verlief. „Nach Trumps Treffen mit Macron und Meloni ist es das dritte positiv aufgenommene Gespräch mit einem EU-Schwergewicht.” 

Trumps Offenheit für ein Handelsabkommen sei wenig belastbar. Gerade deshalb sei der direkte Draht entscheidend. Dabei helfe der vereinbarte Austausch zwischen Kanzleramt und Weißem Haus.  

Die EU stockt ihr Team für die Verhandlungen mit den USA auf. Je eine Person aus dem Umfeld von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Handelskommissar Maros Sefcovic kommen dazu, sagten drei mit den Gesprächen Vertraute zu Reuters. 

Gelungene Ouvertüre: Vor Merz hatte Trump mit Xi Jinping gesprochen – und ging gut gelaunt aus dem eineinhalbstündigen Telefonat. Er kündigte weitere Handelsgespräche mit China an.

BÜROKRATIEABBAU

ROTE AMPEL FÜR GRÜNE CLAIMS: Die geplante EU-Richtlinie gegen Greenwashing in der Werbung stößt auf Widerstand – auch in der neuen Bundesregierung.   

„Das ist ein Riesenthema”, sagt Wirtschafts-Staatssekretärin Gitta Connemann zu Romanus Otte.Dieses Vorhaben der EU ist das Gegenteil von Bürokratieabbau.“ 

Die EU-Richtlinie soll sicherstellen, dass Umweltaussagen (Green Claims) in der Werbung nicht zum Greenwashing missbraucht werden. Beispiele sind Schlagworte wie „klimaneutral“,  „CO₂-kompensiert”,  „biologisch abbaubar“ oder „100 % recycelbar“.

Keine Unschuldsvermutung mehr: So sollen Firmen grüne Werbung künftig vorab genehmigen lassen müssen und dafür aufwändige Nachweise führen.

Gretchenfrage: Sollte Deutschland in Brüssel aktiv dafür eintreten, das Verfahren auszusetzen? Connemann: „Als Bundesvorsitzende der MIT sage ich ganz klar: Ja.” Die MIT ist die Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU. 

20 deutsche Verbände hatten in einem Brandbrief gefordert, das Verfahren in Brüssel auszusetzen. Erst einmal müssten die Folgen für Bürokratie, Kosten und rechtliche Risiken abgeschätzt werden. 

Vertagung: Die nächste Verhandlung zwischen EU-Parlament, Kommission und Rat (Trilog) wurde gerade vom 10. Juni verschoben, wahrscheinlich auf den 23. Juni, sagten drei mit dem Thema vertraute Personen unserer Kollegin Marianne Gros in Brüssel. Es werde auch über eine Verschiebung in den Herbst gesprochen, hört Romanus aus Brüssel und Berlin. 

„Die Regelung würde ein Übermaß an neuer Bürokratie, hohe Kosten und erhebliche Rechtsunsicherheit für Unternehmen mit sich bringen“, kritisiert Connemann. Mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken gebe es bereits ein wirksames Instrument gegen Green-Washing.

Mittelstand: „Die Folgen würden wieder überproportional kleine und mittlere Unternehmen treffen. Sie haben keine Rechtsabteilungen und nicht die Mittel für aufwändige Rechtsgutachten“ so Connemann.

LIEFERKETTENGESETZ

AN DER LIEFERKETTE: Die Grünen lehnen Polens Vorschlag für eine abgemilderte EU-Lieferkettenrichtlinie ab. „Die Bundesregierung muss sich klar für eine europäisch einheitliche Regelung entlang der gesamten Lieferkette einsetzen”, sagte Sandra Detzer zu Tom Schmidtgen. 

Polen schlägt ein Wahlrecht vor: Jedes EU-Land soll entscheiden können, ob für seine Unternehmen Sorgfaltspflicht und Haftung nur für direkte Lieferanten gelten oder für die gesamte Lieferkette bis zum Rohstoff. Der Entwurf der polnischen Ratspräsidentschaft liegt unserer Kollegin Marianne Gros exklusiv vor. 

Weimarer Dreieck: Auch die Bundesregierung will sich für eine Abschwächung der EU-Richtlinie einsetzen. Ebenso Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. 

„Wir brauchen weniger Bürokratie, mehr Fokus auf die Wettbewerbsfähigkeit und Vertrauen in die unternehmerische Verantwortung”, begründete Tilman Kuban (CDU), Vorsitzender der Arbeitsgruppe für EU-Angelegenheiten, gegenüber Laura Hülsemann. „Wer Arbeitsplätze in Europa sichern will, muss jetzt die Lieferkettenrichtlinie stoppen und nicht immer neue Kosten und Bürokratie produzieren.“

GASKRAFTWERKE

LANGER WEG ZUM GAS: Brüssel bremst die Euphorie von Wirtschaftsministerin Reiche, bis Jahresende knapp die Hälfte der geplanten Reservekraftwerke ausschreiben zu wollen. 

Mindestens drei Jahre werde es bis zur Genehmigung in Brüssel dauern, hört Johanna Sahlberg von einem Energiereferenten der EVP im EU-Parlament. Ein anderer Experte schätzt, dass die Kommission mindestens sechs Monate braucht.

Reiche will bis zu 20 Gigawatt Gaskraftwerke für die Reserve errichten. Fünf bis zehn Gigawatt sollen noch in diesem Jahr ausgeschrieben werden, sagte sie gestern Tom Schmidtgen

Die Herausforderung ist, zu beweisen, dass die Mechanismen, nach denen die Betreiber der Kraftwerke für das Vorhalten der Reserve bezahlt werden, den Wettbewerb nicht verzerren, sagt Georg Zachmann, Senior Fellow der Denkfabrik Bruegel.

BAUINDUSTRIE

WOHNUNGS-TURBO: Der Gesetzesentwurf von Verena Hubertz wurde an die Länder und Verbände geschickt. Die Länder geben positive Signale. Verbände haben Forderungen. 

In der Vorlage, die Jürgen Klöckner vorliegt, gibt es die Möglichkeit, in besonderen Fällen weniger Lärmschutz zuzulassen. Zu diesem Punkt hatte das Umweltministerium zuletzt noch Bedenken. Nun stehe man dem Entwurf „wohlwollend gegenüber”, hört Laura. 

Verbände fordern, dass der Bund die Lärmschutzregulierung insgesamt verändert und nicht nur Ausnahmen zulässt. Es geht um eine Novelle der TA-Lärm.

Frist für Feedback: Länder und Verbände können ihre Meinung bis zum 10. Juni einbringen. Ins Kabinett kommt der Entwurf voraussichtlich am 15. Juni.

ABSCHREIBUNGEN

MEHR ANSCHUBHILFE: Die SPD setzt sich zusätzlich zu den Super-Abschreibungen für eine Investitionsprämie ein. „Ich hätte mir eine Investitionsprämie vorstellen können“, sagte Sebastian Roloff, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, gestern im Plenum, wie Tom Schmidtgen vor Ort hörte.

Thema waren die neuen Abschreibungen von 30 Prozent, die ab Juli gelten sollen. „Wir müssen weitere Maßnahmen diskutieren“, sagte Roloff. Die SPD forderte im Wahlprogramm, dass der Staat zehn Prozent der Investitionen trägt.

Dazu gebe es keine Gespräche, sagte CDU/CSU-Wirtschaftssprecher Andreas Lenz zu Tom. „Wir haben uns in den Koalitionsverhandlungen auf die Abschreibungen geeinigt. Ich persönlich wäre für weitergehende Steuersenkungen offen.”

WEITERE NEWS

— WARENSCHWEMME: Holz, Textilien, Maschinen, Chemikalien und Metalle aus China kommen wegen Trumps Zöllen in größeren Mengen und zu niedrigeren Preisen in die EU. Das erfuhr meine Kollegin Camille Gijs aus der neuen Taskforce für Einfuhrüberwachung der EU. Firmen aus der EU sind aufgefordert, die Folgen in einem Fragebogen zu beschreiben. 


REICHE VERKAUFT ENERGIE-BETEILIGUNG: Die Wirtschaftsministerin nennt nun doch ihre Unternehmensbeteiligungen. Dazu gehören Anteile an einer Gesellschaft, mit drei Grundstücken, „die ausschließlich der familiären Vermögensverwaltung“ dienen, sagte ihr Sprecher der ARD. Außerdem besitze Reiche Optionen von Ingrid Capacity im Wert von 3000 Euro, die sich „im Veräußerungsprozess befinden“. Reiche war bis zu ihrer Ernennung als Ministerin im Aufsichtsrat.

PLUS TROTZ TRUMP: Die deutsche Industrie hat im April 0,6 Prozent mehr Aufträge erhalten als im März und 4,8 Prozent mehr als vor einem Jahr. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Mit einem Plus von 21,5 Prozent liegt die Elektro- und Optikbranche vorn. 

— KREDITE WERDEN GÜNSTIGER: Die EZB hat ihren Leitzins auf 2,0 Prozent gesenkt, zum achten Mal seit Juni 2024. Der Zins liegt jetzt zwei Prozentpunkte niedriger als vor einem Jahr. 

HEUTE WICHTIG

Fluggastrechte: In Luxemburg tagt heute der Verkehrsrat. Thema sind die Änderungen der Fluggastrechte. 

Wichtige Daten: Um 8 Uhr stellt das Statistische Bundesamt Zahlen für die Industrie vor. Die Exporte im April – die ersten Zahlen seit Trumps Zolleskalation –, die Industrieproduktion im April sowie die Stromerzeugung nach Energieträgern im ersten Quartal.

Familientreffen: Ab 11:25 Uhr sprechen Merz und danach Reiche auf den Familienunternehmer-Tagen.

Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!

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